Doktorandennetzwerk Indonesien  
 
  Freiburg 2004 29.04.2024 02:40 (UTC)
   
 

„Indonesien nach den Parlamentswahlen – Perspektiven für die junge Demokratie“ – Nachwuchswissenschaftler diskutieren über die Entwicklung des Transitionsprozesses

Die 3.Tagung des Doktoranden-Netzwerks zu Indonesien fand vom 30. April bis 2. Mai 2004 in Freiburg statt. Ermöglicht wurde die Tagung durch die Unterstützung des Arnold- Bergstraesser- Instituts, des Dekans der philosophischen Fakultät und dem politikwissenschaftlichen Institut der Universität Freiburg sowie der Alumniassoziation. Junge Wissenschaftler aus dem ganzen Bundesgebiet waren zusammengekommen, um schwerpunktmäßig die Entwicklung des Demokratisierungsprozesses in Indonesien unter Berücksichtigung der gerade abgehaltenen zweiten Parlamentswahlen zu diskutieren.

Die Konferenz wurde von Matthias Diederich (Universität Frankfurt) mit einer multimedialen Berichterstattung über die dreiwöchige Wahlkampfkampagne eingeleitet. Das Dauerthema Korruption gehörte ebenso zu den Wahlkampfinhalten wie die hohe Arbeitslosigkeit und die Preise für Grundnahrungsmittel. Trotz ihrer Aktualität waren die Themen Terrorismus, Aceh und Umwelt nicht präsent.
Je größer die Partei ist, umso spektakulärer und teurer waren deren Kampagnen. Neben den üblichen T-shirts und Essenspäckchen, verteilte Amien Rais (PAN) Zigarettenschachteln mit seinem Konterfei. Golkar engagierte die gleichermaßen umstrittene wie beliebte Dangduttänzerin Inul, obwohl diese sich fest vorgenommen hatte, sich von keiner Partei einspannen zu lassen. Das lässt darauf schließen, dass die gebotene Summe wohl immens gewesen sein muss. Der Präsidentinnengatte Taufik Kiemas hat Unterstützung für seine Partei in Pesantren gesucht und zur Erinnerung jeweils einen Kijang-Geländewagen verschenkt.
Aurel Croissant (Universität Heidelberg) stimmte die ca. 40 Tagungsteilnehmer einleitend aus der Sicht der vergleichenden Transformationsforschung auf den nachfolgenden Diskurs über den Entwicklungsstand der Demokratie ein. Der hohe Stimmenanteil von 21,18% der alten Suhartopartei Golkar bei den Parlamentswahlen ist als Enttäuschungseffekt der Wähler zu werten, wie er für Länder im Demokratisierungsprozess typisch ist. Die Hoffnungen der Bevölkerung auf ein gerechtes Staatswesen und eine verbesserte Wirtschaftssituation haben sich bislang nicht erfüllt. Anhaltende Korruption, die schlechte Wirtschaftslage mit hoher Arbeitslosigkeit und diverse Mängel im Rechtssystem, welche Eliten weiterhin milder verurteilen als bürgerliche Schichten, haben bei den Wählern eine Sehnsucht nach den alten, vermeintlich besseren Zeiten geweckt.
Die Hoffnung weiter Teile der indonesischen Bevölkerung auf Besserung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Missstände durch eine starke Führungspersönlichkeit aus Militärkreisen wurde auch in der Diskussionsrunde zur Interpretation der Wahlergebnisse thematisiert. Die PDI-P der amtierenden Präsidentin Megawati ist mit 14% Stimmenverlust eindeutig Verliererin, während Golkar mit 21% im Ergebnis in etwa gleich geblieben, aber zur stärksten Partei aufgerückt ist. Ein Wahlgewinner ist die neue Partai Demokrat, welche den im letzten Kabinett tätigen Koordinationsminister für Sicherheitsfragen Susilo Bambang Yudhoyono als Präsidentschaftskandidaten ins Rennen schickt. Diesem werden derzeit die besten Chancen für die Wahl zum Präsidenten zugeschrieben.
Die neu geschaffene Institution des DPD als Vertretung der Regionen wurde von Monika Arnez (Universität Köln) vorgestellt: Jede der 32 Regionen entsendet 4 Personen, die von den Bürgern direkt gewählt werden. Allerdings ist der Einfluss des DPD auf die Exekutive sehr begrenzt. Die direktgewählten Vertreter können nur Gesetzentwürfe vorschlagen und die Implementierung von Gesetzen beaufsichtigen, haben aber kein Rederecht im Parlament und keinerlei Entscheidungsbefugnis.
Heftige Diskussionen zwischen Politik- und Regionalwissenschaftlern löste die Frage nach den verwendeten Theoriekonzepten für Promotionsvorhaben aus. Johannes Herrmann (Universität Giessen) präsentierte seine Dissertation zur Entwicklung eines Modells für die Messbarkeit von nationaler Integration und erörterte das Problem der dazu erforderlichen Auswahl geeigneter Kriterien. Im Plenum debattiert wurde, inwieweit bei dieser Forschungsaufgabe auch indigene Modelle berücksichtigt werden sollten.
Die Rolle des Parlaments während des Transitionsprozessess erläuterte Patrick Ziegenhain (Universität Freiburg) in seinem Referat. In Transitionstheorien findet das Parlament als entscheidender Akteur keine Erwähnung, in Indonesien trat es aber mehrmals in Erscheinung. So wurde Präsident Suharto 1998 vom DPR mit Absetzung gedroht, und Präsident Wahid wurde vom Parlament abgesetzt, wobei es in dieser Zeit seine Gesetzgebungsfunktion erheblich vernachlässigte. Insgesamt bewertet Ziegenhain die Arbeit des Parlaments als dürftig, was er auf mehrere systembedingte Ursachen zurückführt: In der Verfassung wird nicht klar zwischen einem parlamentarischen und einem präsidentiellen System unterschieden, es existiert keine klare Trennung zwischen Regierung und Opposition. Durch das Verhältniswahlrecht sind zu viele Parteien im Parlament vertreten, die alle an den Entscheidungen beteiligt werden wollen. Durch den 2002 wieder eingeführten „recall“ werden die Parteien zudem stark von den Parteispitzen dirigiert. Mit einem neugeschaffenen Ethikcode soll versucht werden, das Verhalten der Abgeordneten zu disziplinieren; er kann aber allenfalls als Appell angesehen werden. Effektiver vor allem hinsichtlich der Repräsentationsfunktion wäre eine konsequente Sanktion im Fall Akbar Tandjung gewesen. Solange der wegen Korruption verurteile Parlamentspräsident weiter seines Amtes waltet, nehmen auch einfache Abgeordnete vor Abstimmungen unbeeindruckt Briefumschläge entgegen.
Der Vortrag von Genia Findeisen (Universität Hamburg) beschäftigte sich mit der Analyse der Wahlen unter Gender-Gesichtspunkten. Der Frauenanteil im neugewählten Parlament weist mit 11 % nur eine geringfügige Steigerung um 2% auf. Findeisen legte anhand von Statistiken dar, dass die laut Wahlgesetz zu beachtende Frauenquote während des Wahlkampfes als Stimmenfänger eingesetzt wurde. Bei genauerer Betrachtung entpuppt sich der relativ hohe Frauenanteil bei der Kandidatenaufstellung als Augenwischerei. Die männerdominierten Parteispitzen sorgten dafür, dass den Kandidatinnen nur untere, chancenlose Listenplätze verblieben. Damit hatten viele qualifizierte, populäre Kandidatinnen von vornherein keine Chance, ein Mandat zu erhalten. Wie demokratisch sind Regierungssysteme mit mangelnder Geschlechtergerechtigkeit, wenn ein Großteil der Bevölkerung (51% der ind. Bevölkerung sind weiblich) von der Partizipation an der Macht ausgeschlossen werden kann?
Hier setzt auch das Dissertationsprojekt von Christoph Schuck (Universität Giessen) an. Welche Kriterien sind ausschlaggebend, um ein Staatswesen als konsolidierte Demokratie zu bezeichnen? Die Abhaltung von freien und faire Wahlen ist demnach eine Grundvoraussetzung für Demokratie, aber- wie das Beispiel Gleichheit bzgl. des Geschlechts zeigt- keinesfalls ausreichend für eine Konsolidierung. Eine Bewertung der demokratischen Konsolidierungstendenz ist nur durch die Ergänzung um weitere Komponenten möglich.
Die Position des Militärs ist trotz des Rückzuges aus den Parlamenten weiterhin problematisch. Der Militärexperte und Südostasienwissenschaftler Ingo Wandelt (Hürth) referierte detailliert über die Strukturen innerhalb des Militärs und die Verbindungen der nachrückenden Generationen. Unter der Regierung Megawati blieben zwar die Sondereinheiten des Heeres bestehen, wurden aber zunehmend entmachtet; gestärkt wurden hingegen die Geheimdienste und das Verteidigungsministerium. Durch eine extrem hohe Präsenz ehemaliger Offiziere in der Politik wird das Militär weiterhin Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen, wenn auch die Wahrscheinlichkeit eines Militärputsches nach den Wahlen nochmals abgenommen hat.
Das abschließende Doktorandenforum bot allen Anwesenden die Möglichkeit, methodische und inhaltliche Forschungsfragen der eigenen Arbeit im Kollegenkreis zu besprechen. Durch das Tagungskonzept von alternierenden Vorträgen und Diskussionsrunden mit einführendem Input konnte ein umfangreiches Pensum absolviert werden. Diese Form des zweitägigen Austausches wurde von allen Teilnehmern begeistert als bereichernd und unbedingt fortsetzungswürdig angesehen.

Die Autorin ist Politikwissenschaftlerin und promoviert zum Thema Demokratisierung über Frauenrechte in Indonesien. Kontaktadresse für das Doktoranden-Netzwerk: gfindeisen[at]yahoo.com

 
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